Lieber Papa,
Seit letztem Sommer fühle ich mich immer wieder nicht wie ich selbst. In solchen Momenten beobachte ich mein Leben wie ein Fremder und frage mich, wo es mich wohl hintreiben wird. Es fällt mir schwer eine Zukunft zu planen, die mir wie ein ungreifbarer Traum und gleichzeitig unvermeidbarer, immer schneller auf mich zu rasender D-Zug vorkommt.
Meine Arbeit beim Film verhilft mir eben diesen Sorgen zu entweichen. Eine Produktion kann sich an manchen Tagen wie das einzige existierende Universum anfühlen, außerhalb dessen nichts anderes so wichtig sein kann als das die Szenen abgedreht und alle pünktlich nach Hause kommen. Die Flucht in ein solches parallel Universum verhilft mir dazu den D-Zug für eine Weile zu ignorieren. Doch dann findet auch dieses parallel Universum sein apokalyptisches Ende und die Fragmente, die nur durch seine Existenz zusammengehalten wurden, zersprengen in jegliche Richtungen, ihre alte Form nie wieder reproduzierbar. Eine Momentaufnahme die nur durch Photonen auf digitalen Sensoren Abbildung verschafft werden konnte.
In den letzten Monaten habe ich mir oft Gedanken über meinen Platz in diesem Universum was wir fühlenden Wesen Heim nennen dürfen. Dabei frage ich mich was ich erreichen kann, wem ich helfen kann und wie, was wirklich meine Stärken sind und ob sie mir dabei helfen können. Ob ich so bin wie ich es immer wollte oder ob ich alles anders erlebe und spüre als alle anderen tun. Ob ich so tief fühle oder so weit. Bis jetzt habe ich noch keine finale Antwort bekommen. Wahrscheinlich bedeutet das, dass dieses Universum nunmal mit Ungewissheit zu navigieren ist. Meine Freunde und Familie geben mir halt und ihre Landkarten. Manchen gebe ich nicht die Möglichkeit mir ihre Erfahrungen und Messungen zu Hand zu reichen, weil ich sie nicht enttäuschen will, wenn sie nicht in das Betriebssystem meiner Steuerkonsole passen.
Da ich weiß wie ungetestet und teils unausgereift meine Protokolle sind, halte ich viele Menschen von meinen innersten Prozessoren fern. Die schützende Firewall hält vieles ab, da die dahinterliegenden Systeme schnell zu Tropfen beginnen würden. Eine alte Version des Systems lernte, sich nicht zu sehr von anderen Planeten im Sonnensystem abhängig zu machen, da sie auch in andere Galaxien verschwinden könnten. Das System baute so mehr Verknüpfungen in sich selbst. Ich weiß noch nicht ganz wie ich meine Firewall modifizieren kann ohne den gesamten Code neu zu schreiben. Auch diese Fragen haben bisher noch keine Antworten erhalten. Ich müsste glaube ich mal mit einem IT-Spezialisten sprechen…
All das nur um zu sagen: Ich hab dich ganz doll lieb und ich vermisse dich als meinen Papa. Ich weiß nur nicht wie ich meinem Papa sagen soll, dass ich damals nicht verstehen konnte warum er einfach weg war und dann wieder da… und wie ich meinem Kopf und Herz sagen soll, dass das nicht immer so ist und dass das auch nicht heißt das ein Mensch der einmal nicht mehr da ist nicht auch wiederkommen kann. Dass es nicht schlimm ist wenn die Prozessoren Tropfen, es gibt ja Zewa.
Ich freue mich, dass du vor fast 3 Jahren noch einmal Papa werden durftest. Ich hoffe euch und Lee geht es gut und ihr habt viele neue Erlebnisse und macht ganz viele Erinnerungen. Ich wünsche euch ganz viel Freude, beim neu erleben und entdecken des Universums mit der „neu“ dazugestoßenen Astronautin. Ich weiß nur nicht, ob ich im Moment Teil von der Expeditionsreise sein kann.
Für mich eröffnet sich in den kommenden Monaten auch wieder ein neues Sonnensystem: die Freie Universität Berlin. Da werd ich dann zum Master of Disaster ausgebildet. Mit hoffentlich ein paar mehr hilfreichen Messdaten des bekannten Universums.
Deine Caroline
Snail-Mail aber schnell…